
Kanada, wir kommen
Wie sehr hat es mir gefehlt, dieses Weit-weit-weg-Gefühl! Drei Wochen Québec, ein Roadtrip von Montreal bis Tadoussac, von Gananonque bis Rimouski und ich bin komplett deconnected und entschleunigt… Alles easy, alles cool, die Kanadier sind wirklich so nett und entspannt, wie man ihnen nachsagt. Und sie haben so viel Platz! Ein riesiges Land, Natur ohne Ende und viel Raum – zum durchatmen, abschalten und Energie tanken.






Dem Frühling hinterher
Zu Beginn ist noch keine grünes Blatt an den Bäumen zu sehen, doch am Ende unserer Reise explodiert die Natur, blüht und sprießt es überall. Wir schauen buchstäblich dem Gras, den Blumen und Bäumen beim Wachsen zu. Auch die Kanadier können es kaum erwarten, schalten von Winter auf Sommer, steigen aus den dicken Anoraks und Boots in Shorts, Blumenkleider und Flipflops. Die Terrassen und Parks füllen sich, eine wunderbare Aufbruchstimmung liegt in der Luft.


Montreal, ganz gechillt
Der Grund unserer Reise: Victor (im grünen T-Shirt). Seit acht Monaten studiert er in Montreal und ich kann es nicht mehr erwarten, ihn endlich wieder zu sehen. Er hat sich in die Stadt verliebt – und wir verstehen bald sehr gut warum: Victor ist genauso entspannt wie Montreal, die beiden passen perfekt zusammen. Mit ihm zusammen erkunden wir die Hochhäuserschluchten in Downtown, die alten Häuser in der vieille ville, die Lagerhallen und das XXL-Zelt des Cirque du soleil am Hafen. Wir kehren in der ehemaligen Royal Bank of Canada ein, wo heute im Schalterraum ein Coworking-Space und Café aufgemacht hat und trinken unter den hohen, vergoldeten Kassettendecken „London Fog“, Earl-Grey mit Milchschaum. Wir steigen auf den Mont Royal, von wo man den besten City-Blick hat. Wir fahren zum monumentalen Olympia-Stadion und zur „Sphere“, einer Draht-Kugel auf einer Insel im St. Laurent-Fluss, die von der Expo 1967 übrig geblieben ist.



„Poutine“ in der „Banquise“
Natürlich müssen wir auch „Poutine“ probieren: so (ausgerechnet) heißt das Nationalgericht in Québec. Der Name kommt von „pot“, Topf… Am besten schmeckt’s in der „Banquise“, dem Hotspot für alle Hungrigen, hart Arbeitenden und Nachtschwärmer. Die Portionen sind riesig (wie könnte es anders sein) und oben auf den Berg Pommes mit Bratensoße und Käse kommen dann noch Guacamole, saure Gurken, Tomaten, Trockenfleisch, Würstchen, also alles, was drauf passt oder was man so mag. Eine echte Herausforderung, wie man es essen soll und auch für den Magen…




Auf dem Highway Nr. 138 nach Osten
Wir cruisen durch endlose Wälder, durch überschwemmtes Marschland, wo sich tausende von schnatternden Kanada-Gänsen sammeln, vorbei an Seen und Flusslandschaften mit Inseln und Inselchen, an Farmen und Holzhäusern mit Veranda, Adirondack Sesseln und Pick-up vor der Tür. Wir fahren durch kleine Ortschaften, kreuzen eine Reihe riesiger Trucks, die auf dem Highway Nr. 138 nach Osten und weiter nach Labrador und Neufundland unterwegs sind, dann kommt wieder lange nur Natur.



Mein Highlight: Tadoussac!
Der ehemalige Handelshafen am St. Laurent Fluss mit pastellfarbenen Holzhäusern, Beach-Promenade und Wal-Museum erwacht gerade aus dem Winterschlaf. Die Kleinstadt ist eine der ältesten europäischen Siedlungen in Kanada, 1535 kamen die ersten Schiffe aus Frankreich und England hier an. Im Garten des historischen Landmark-Hotels von 1864, mit rotem Dach, Glockentürmchen und Kronleuchtern, wird fleißig gerechelt und gearbeitet. Noch sind kaum Menschen unterwegs, ist fast alles geschlossen, bis auf die Mikro Brauerei am Hafen. Hier gibt es 20 Sorten Bier, dazu Gratis-Popcorn mit Paprikapulver aus der Maschine und den Blick auf Bucht und den Strand. Noch sind die Locals hier unter sich. Nur ein paar digitale Nomaden brüten vor ihren Laptops.



Wale im Winterschlaf
Vielleicht mögen die Wale aber auch einfach kein Orange. Zur Walbeobachtungstour packen sie alle Passagiere in leuchtend-orangenes Ölzeug. Es sieht einfach großartig aus, als wir uns Richtung Schlauchboot in Bewegung setzen – wie eine signalfarbene Sträflingskolonne. Die Einheimischen – und auch die Wale – müssen sich totlachen. Drei Stunden sausen wir kreuz und quer über den St. Laurent, der hier schon so breit wie ein Meeresarm ist. Das Wasser ist spiegelglatt, eigentlich das perfekte Walbeobachtungs-Wetter. Aber das kümmert die großen Meeressäuger nicht. Sie zeigen sich nicht. Nur ganz am Horizont sehen wir ein paar weiße Beluga-Rücken aufblitzen. Eine Population der seltenen Klein-Wale ist seit der letzten Eiszeit hier im Saguenay-Fjord sesshaft. Der Saguenay ist eine der größten Flussmündungen der Welt und einfach wunderschön. Mit etwas Glück kann man hier im Sommer die Wale vom Ufer beobachten – oder von der Steilküste, die bis zu 500 Meter hoch spektakulär ins Wasser fällt.



Täglich grüßt das Murmeltier
Auch ohne Wale könnte ich stundenlang aufs Wasser sehen. Wie hypnotisiert sitze im Schaukelsessel in unserer Ferienwohnung in Natakam auf dem Gebiet der Essipit-first-nation, einem der vielen indigenen Völker Kanadas, und schaue auf die glattpolierten rosa Felsen, die Wasservögel und das Murmeltier direkt vor dem Fenster. Das Murmeltier wechselt zwischen hyperaktivem Grasrupfen, geschäftigem Hin- und Herrennen und jähen Ruhephasen. Alle paar Minuten flezt es sich plötzlich wie ein Pfannkuchen auf den warmen Stein, macht kurz eine Pause, bevor es weiter rennt. Wer braucht denn schon Wale, wenn es Murmeltiere zu beobachten gibt?

