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Sommerglück
Genau für einen Abend im August schaffen wir es, (fast) alle an einem Ort zu sein. Es ist wirklich nicht einfach, alle 12 unter einen Hut zu bekommen – eher ist es wie ein Sack Flöhe, die einen kommen, die anderen fahren schon wieder. Also wenn wir zusammen sind, muss das gefeiert werden! Das können wir sowieso am besten…
Full house! Wir genießen die Ferien. Marcel, Carrie und Christoph gehen wandern. Die Kinder toben auf dem Trampolin oder liefern sich Wasserschlachten im Pool. Wir fahren an den Strand oder auf den Markt. Annick und ich schlagen uns mit Hund Zora ins Unterholz. Carrie, Restaurant-„Cheffe“ in Paris, Fotografin, Foodista und begnadete Köchin, verwöhnt uns mit leckeren Tapas. Freunde kommen vorbei. Abends wird die Plancha angeworfen, um grüne Pimientos, Paprika, Auberginen, Zucchini und Champignons zu grillen. Michael arbeitet im Garten, versucht die Riesen-Bougainvillea und den wilden Wein zu bändigen. Victor und Christoph gehen kiten. Die vier „A‘s“ (eine Familientradition): meine Mutter Anneliese, Annick, Annina, 20, und Ania, 8, spielen Uno. Manchmal sitze ich nur als Beobachterin daneben, still und dankbar.
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Unser Lieblingsmoment im Urlaub: l’Apéro! Den zelebrieren wir. Ein Glas Rosé, ein Sirop für die Kinder, ein paar Oliven, was zu knabbern – c’est top! Im Süden oder in Frankreich beginnt so immer der gemütliche Teil des Abends. Eine wunderbare Tradition… Neu entdeckt haben wir den herb-süßen roten Bitter-Likör, der in der Thuir, einer Kleinstadt in der Nähe, hergestellt wird. Damit lässt sich wunderbar Spritz mixen – „sprizz catalan“, wie es die Locals nennen, wird unser Sommerdrink.
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Zum Einstand laden wir auch die Nachbarn zum Umtrunk ein, verteilen Zettel im ganzen Dorf und warten gespannt, wer kommt. Tatsächlich sind viele neugierig auf „die Neuen“ und schauen vorbei. Einige Hochbetagte sind noch hier zur Schule gegangen und erinnern sich an das Klassenzimmer, den Pausenhof und den strengen Rektor. Ein Nachbar schenkt uns alte Pläne der Schule und eine Dorfchronik von 1958. Wir erfahren, dass bis vor dreißig Jahren im mittelalterlichen Turm in der Straße noch eine Bar war, dass das Dorf in den 50ern fast mal ausgestorben war, weil es kein Wasser mehr gab. Wir hören Geschichten, Klatsch und Tratsch. Ein echt aufregender Schulstart!
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Ende August bringen wir Victor, 23, an den Bahnhof, nach Perpignan. Er fliegt für ein Jahr nach Kanada und macht ein Uni-Austauschjahr in Montreal. Zwanzig Minuten stehen wir am glühend-heißen Bahnsteig, bis der Zug endlich fährt. Die Tränen rollen, so wie die Waggons. Freude, Sorge, Neid, Aufregung begleiten ihn. Danach brauche ich erst einmal eine Pause, um mich emotional zu regenerieren. Michael und ich mieten uns eine Liege in einer „paillotte“ – einer von vielen Strandbars, die jeden Sommer an der Küste aufmachen. Die Abkühlung tut sehr gut: einfach auf’s Meer schauen, alle fünf Minuten schwimmen gehen, die Brise genießen.
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Ich wusste nicht, wie schön und wie zart das Geräusch von leichtem Regen ist, dass mich am nächsten Morgen weckt. Es ist kein Prasseln, kein Rauschen, eher hört es sich wie feine Nadeln an, die leise auf die Blätter treffen. Man kann die Bäume und Pflanzen förmlich singen hören. Plötzlich strömt Kühle herein und intensiver Pinien-Duft. Der Regen intensiviert den Geruch von Süden, nach Rosmarin, Thymian und Salbei. Ich reiße alle Fenster weit auf. Später, in Perpignan, der nächste Wolkenbruch. Ein kleines Mädchen rennt kreischend in den Regen hinaus, tanzt und quietscht, und die Eltern lassen es lachend geschehen. Es ist der erste Regen seit Monaten.
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Mein absoluter Sommermoment: das Konzert auf dem Platz vor der kleinen Dorfkirche. Der Vollmond hängt dekorativ über dem kargen Hügel mit dem „lonesome tree“, den wir auch von unseren Fenstern aus sehen können. Ein lauer Abend, alle Stühle sind belegt, sogar Touristen (außer uns) sind gekommen. Die samtigen Töne vom Saxophon und die melancholische Melodie vom Akkordeon schweben über den Köpfen.
Wir treffen Huguette, 89. Sie ist seit über zwanzig Jahren die Hüterin der Kirche, stolz zeigt sie den 15 Zentimeter großen, schweren Schlüssel. Am Ende helfen alle beim Aufräumen und wir tragen zwei Tische in die Kirche zurück. Dabei sehen wir, dass es alte Schulpulte sind! Huguette erzählt uns, dass sie aus „unserer Schule“ kommen und dass sie selbst dort Schülerin war! Sie erinnert sich noch genau, wie der Raum aussah und an ihren weiten Schulweg vom Nachbarort – eine tolle, inspirierende Begegnung und auch irgendwie ein Kreis, der sich schließt.
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