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Der erste Schultag
Liebes Universum,
Juni 2022 – hier sind wir nun und es fühlt sich unendlich gut an! Die Vögel zwitschern, die Sonne geht gerade über dem Meer auf. In einem winzigen, dreieckigen Durchblick, den die Bäume vor dem Haus frei lassen und den man aus meinem Fenster im oberen Stock sehen kann. Der erste Morgen in unserer Dorfschule in Südfrankreich. Es riecht nach Sommer, nach Süden, nach Pinien. Danke für dieses unglaubliche Geschenk! Danke, dass mich dieses Projekt die letzten Monate, durch die Corona-Krise und alle Ups & Downs getragen hat! Ich kann es kaum fassen, dass das gerade echt ist…
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Heute, am 18. Juni 2022, beginnt ein neues Kapitel. Ab heute gehen wir wieder zur Schule. Dass ich mich darüber mal so freuen würde, hätte ich auch nicht gedacht. Vorgestern haben wir nach bangem Warten endlich den Schlüssel bekommen. Gestern kam schon der Umzugswagen an. Und wir waren alle mindestens so aufgeregt wie am ersten Schultag.
Wie es überhaupt dazu gekommen ist, was zuvor geschah, da muss ich etwas weiter ausholen: mein Bruder Christoph, meine Schwester Annick und ich sind in Brüssel in Belgien aufgewachsen. Nach dem Tod unseres Vaters haben wir nach 50 Jahren unser Elternhaus in Brüssel verkauft – und beschlossen das Geld gemeinsam in ein neues Familien-Domizil zu stecken. Wir leben in drei verschiedenen Ländern, in Deutschland, Frankreich und Belgien. Wenn wir alle zusammen kommen, mit meiner Mutter und unseren Familien, sind wir mindestens 12 Menschen plus Hund. Also brauchten wir einen Ort, wo wir uns alle treffen können, gemeinsam Urlaub machen, Feste feiern, leben, arbeiten, chillen, Pläne schmieden etc.
Geteilte Träume sind einfach noch viel, viel schöner!
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Auf die französischen Pyrenäen und die Region bei Perpignan war mein Bruder Christoph gekommen. Weil man da Meer und Berge nah beieinander hat. Eigentlich war ich anfangs gar nicht begeistert, denn ich lebe in München. Die Pyrenäen sind verdammt weit weg und Berge brauchen wir nicht, die haben wir vor der Tür. Ich wollte viel eher in der Nähe von Montpellier bleiben, weil ich die Stadt sehr liebe und wir da schon Ferien machen, seitdem wir Kinder sind. In Montpellier habe ich meine ersten Schritte gemacht, weil unser Vater dort mal ein paar Jahre gearbeitet und das Heidelberghaus geleitet hat.
Coup de coeur – Liebe auf den ersten Blick
Also mieteten wir im Sommer ein Ferienhaus in der Region von Cerbère – nur als Test – und es hat zoom gemacht! Von dort aus gab es so viel zu entdecken: das Mittelmeer, dahinter der oft bis April oder Mai schneebedeckte Canigou, die wunderschöne katalanische Küste und hübsche Dörfer im Hinterland, Weinberge und Obstplantagen, Katharerschlösser und Klöster, die Stadt Perpignan und in einer halben Stunde entfernt Figueres in Spanien oder in zwei Stunden war man in Barcelona. Wie aufregend!
Wir sahen uns einige Häuser an – zu isoliert, zu baufällig, zu verbaut, zu teuer. Am Ende des Sommers waren wir nicht viel schlauer und zunehmend ratlos. Doch dann: Kurz vor Weihnachten 2021, noch mitten in Corona-Zeiten, ein Anruf von Christoph. Er hatte unser Traum-Ferienhaus gefunden, in einem winzigen Dorf am Ende einer Serpentinenstraße an den Hügeln über Perpignan. Ab da überschlugen sich die Ereignisse und um es abzukürzen: wir kauften gemeinsam diese alte Schule von 1870, ohne sie gesehen zu haben – bis auf Christoph, der aus Paris schnell hinfuhr. Die Bilder waren so schön und seine Begeisterung so ansteckend, dass wir ihm alle blind vertrauten. Das wohl beste Weihnachtsgeschenk ever!
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La petite Ecole – die kleine Schule wollte einfach zu uns
Quelle chance, was für ein Glück! Das sagen wir uns seitdem täglich. Von 1870 bis 1940 war hier die Dorfschule untergebracht, oben wohnte der Rektor. Danach diente das Haus als Bürgermeisteramt, Gemeindehaus und Theater. Seit den 80er Jahren wurde es zum Wohn- und Ferienhaus umfunktioniert. Die Vorbesitzerin, 90, lebte über zehn Jahre allein drin und hatte es schon früher verkaufen wollen, dann aber immer wieder einen Rückzieher gemacht. „Es hat auf uns gewartet“, sagt Christoph. Und wenn ich nicht wie er an Karma glauben würde, dann wäre ich jetzt überzeugt – denn alles hat sich so wunderbar gefügt.
Im Garten wachsen Zitronen und Mandarinen-Bäume, Feigen, wilder Wein und ein riesiger rosa Bougainvillea rankt über die Terrasse. Ein kleiner Engel aus Ton und Zora, der Hund, wachen über den Garten. Die grünen Drachenköpfe an den Regenrinnen, ganz typisch für die Region, passen auf das Haus auf. Zur vollen Stunde bimmelt die Dorfkirche, ab und zu bellt ein Hund, hört man Stimmen hinter der Mauer oder fährt ein Auto vorbei. Sonst nichts. Himmlische Ruhe. Nachts randalieren manchmal die Wildschweine im Nachbargarten, Pyrenäen-Geier ziehen ihre Kreise hoch über unseren Köpfen, die Grillen zirpen, wie es sich für den Süden gehört. Libellen surren, Eidechsen rascheln. Sonst nichts. Aber einfach großartig.
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